Interview Hormontherapie Prof. Dr. Franz Fischl
„Vor großen geschlechtsanpassenden Operationen sollte die Hormontherapie abgesetzt werden!“ – Gynäkologe und Hormonspezialist Prof. Dr. Franz Fischl im Gespräch mit Medizinjournalistin Mag. Sonja Streit.
An wen sollten sich Transgender, transidente Personen in Bezug auf eine Hormontherapie wenden?
Es gibt verschiedene Institutionen, z.B. die Universitätsklinik für Frauenheilkunde in Wien. Dort befindet sich auch eine eigene Transgender Ambulanz der Abt. Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, an die sich Betroffene wenden können. In Innsbruck ist es die Ambulanz für Endokrinologie in der Uniklinik, die kompetent weiterhelfen kann, ebenso an der Frauenklinik in Graz. Generell gibt es in vielen Kliniken Ambulanzen und Beratungsstellen für Transgender.
Das heißt, Gynäkologen und Endokrinologen sind die wichtigsten Ansprechpartner?
Gynäkologische Endokrinologen, neben Psychologen, Psychotherapeuten, aber auch plastischen Chirurgen und Urologen, die sich mit diesem Spezialgebiet befassen.
Ab welchem Alter ist eine Hormontherapie transidenter Menschen in Österreich zulässig?
Das Alter an sich stellt natürlich ein Problem dar, weshalb die Frage nicht so einfach zu beantworten ist. Prinzipiell ist die Hormontherapie ab der Großjährigkeit zulässig, in früheren Fällen muss sie in Absprache mit den Eltern erfolgen. Derzeit wird in vielen Ländern kontrovers diskutiert, ob man bei Transgenderpersonen schon während der Kindheit, unmittelbar mit Eintreten der Pubertät, eingreifen soll – ein heikles Diskussionsthema. Wir in Österreich sind da noch ein wenig zurückhaltend, wenngleich sich in den nächsten Jahren vermutlich einiges ändern wird.
Menschen, die das Gefühl haben, im falschen Geschlecht zu leben und das schon früh bemerken, könnten durch eine Hormontherapie die Pubertät umgehen, weshalb ihnen einiges erspart bliebe. Die z.T. sehr kontroversiell diskutierte Frage ist, ob man schon so früh, wenn die hormonelle Aktivität der Sexualhormone beginnt, eingreifen sollte. Einige meiner Patienten durften die Hormontherapie mit Einverständnis der Eltern schon vor der Großjährigkeit machen.
In Österreich müssen bestimmte Regeln eingehalten werden, besonders wenn die Krankenkassen die Therapiekosten der Behandlung von transidenten Personen übernehmen sollen. Es gibt genaue Richtlinien und Vorgaben, die eingehalten werden müssen, damit sowohl die Medikamente als auch die Operationen vollständig übernommen werden.
Wie setzt sich die Hormonbehandlung transidenter Personen (männlich und weiblich) zusammen?
Bei der Hormonbehandlung geht es zuerst darum, die eigenen Sexualhormone zu unterdrücken, in einem zweiten Schritt wird dann mit der gegengeschlechtlichen Hormontherapie begonnen.
Ein Mann, der auch körperlich zur Frau werden möchte, unterdrückt zuerst mit einer Hormontherapie die männlichen Hormone. Männer wünschen sich primär meist eine Unterbindung ihrer Erektionen, während Frauen nicht mehr mit Monatsblutungen leben möchten und sich häufig auch die Brust abbinden.
Des Weiteren benötigen Betroffene ein psychiatrisches, psychologisches Gutachten, da es sich bei Transgender um eine Selbstdiagnose handelt. Der oder die Betroffene stellt das selbst fest und es existiert keine medizinische Untersuchung, die das bestätigen oder widerlegen kann. Das heißt, wir wissen derzeit noch nicht, wo die Ursache liegt. Deshalb soll das psychiatrische und psychologische Gutachten, das sich mit der oder dem Betroffenen auseinandersetzt, die Selbstdiagnose bestätigen. Ziel ist es, herauszufinden, ob die Person transident ist oder ob es sich unter Umständen um eine andere sexuelle Varietät handelt.
Wenn das erfolgt ist, empfiehlt man eine Psychotherapie, in der es ausnahmslos um Aufarbeitung und Rekonstruktion geht. Wie hat sich das gezeigt, wie wurde dieses Gefühl bis jetzt ausgelebt etc.?
Dann beginnt die Therapie mit den gegengeschlechtlichen Hormonen verbunden mit den Real-life-Test. Der oder die Betroffene tritt jetzt in der Öffentlichkeit, im täglichen Leben schon in Bezug auf Kleidung und Aussehen im anderen Geschlecht auf. Die Person bekommt dafür auch eine Bestätigung, damit es beispielsweise bei Polizeikontrollen nicht zu unangenehmen Situationen kommt.
Das heißt, sie brauchen zunächst einmal dieses psychologische Gutachten, um überhaupt mit einer Hormontherapie beginnen zu dürfen?
An und für sich ja. Obwohl dank der EU einiges im Umschwung ist, halten die Krankenkassen nach wie vor an bestimmten Richtlinien fest. Wer sich eine vollständige Kostenübernahme wünscht, muss bestimmte Regeln befolgen.
Allerdings darf man mittlerweile die Personenstandänderung und somit die Umschreibung der Papiere schon vor der Operation vornehmen lassen. Früher waren die Operation und eine Begutachtung danach dafür nötig. Die Krankenkasse verlangt einen gewissen Zeitablauf, der in etwa zwei Jahre beträgt, bevor sie die geschlechtsanpassenden Operationen bezahlt.
Welchen Einfluss haben Faktoren wie Übergewicht, Rauchen, Alkohol auf den Erfolg der Hormontherapie?
Die Probleme und Risiken, wie Übergewicht, Rauchen und Alkohol betreffen nicht nur Transgender Personen, sondern ganz allgemein Alle, besonders wenn sie auch Hormone nehmen.
Betreffend Hormontherapien gibt es naturgemäß auch Geschlechtsunterschiede. Von Mann zu Frau gab es die meisten Thrombosen (darunter versteht man den Verschluss eines Blutgefäßes durch ein Blutgerinnsel, Anmerkung), denn auch nach der Geschlechtsanpassung bleibt das Gefäßsystem männlich und dieses reagiert auf die Östrogengaben, vor allem bei höheren Dosen und in Kombination mit Rauchen, anders, als das weibliche Gefäßsystem. Rauchen ist ein Faktor, der sich von Mann zu Frau als sehr problematisch darstellt. Allgemein gilt bei Frauen beispielweise, dass Raucherinnen keine Pille nehmen sollten. Das ist weltweit eine medizinische Richtlinie, an die man sich halten sollte.
Übergewicht birgt natürlich auch immer ein gewisses Risiko, nicht in so hohem Maße, aber gesund ist es auf keinen Fall.
Alkohol verstärkt die Östrogenwirkung und belastet die Leber mehr, vor allem, wenn die Hormongabe in Tablettenform eingenommen und über die Leber verarbeitet und abgebaut wird.
Rauchen, Alkohol und Übergewicht stellen bei allen Menschen gewisse Risikofaktoren dar, sind aber für Transgender durch die lange Hormoneinnahme natürlich erhöht. Sie nehmen andere Hormone ein, auf die das Gefäßsystem genetisch nicht determiniert ist, weshalb sie etwas gefährdeter sind als andere Menschen.
Gibt es Risiken und Nebenwirkungen?
Die bereits erwähnte Thrombosegefahr bei Mann zu Frau aufgrund der Östrogeneinnahme. Des Weiteren verändern die Hormone die Psyche und emotionale Komponente, was jedoch meistens als angenehm empfunden wird. Wenn Männer Östrogene einnehmen, werden sie sanfter, ruhiger. Wenn man Frauen Testosteron gibt, von Frau zu Mann, werden sie unter Umständen aggressiver, wobei das nicht immer negativ besetzt sein muss. Bei von Natur aus aggressiven Personen kann durch die Testosterongabe die Aggressivität so gesteigert werden, dass es zu tätlichen Angriffen kommt. Auch das habe ich schon erlebt. Daher ist es durchaus von Vorteil, wenn man eine psychologische und psychotherapeutische begleitende Therapie absolviert, um zu helfen, diese neue Situation zu bewältigen und zu lernen, damit richtig umzugehen.
Eine weitere Nebenwirkung von Mann zu Frau, die in der Literatur beschrieben wird, ist folgende: Die Östrogen-Hormontherapie führt zur Verkleinerung der Prostata. Der Mittellappen der Prostata kann jedoch die Harnröhre abdrücken, was zu erschwertem Urinieren führen kann. Deshalb wird diesen Transgender Personen empfohlen, ab Mitte 40 die Prostata regelmäßig von einer Urologin untersuchen zu lassen. Ich selbst habe etwas Derartiges in 20 Jahren aber nicht erlebt.
Vor Beginn der Hormontherapie sollte eine genaue Anamnese (Vorgeschichte einer Krankheit bzw. genaue Befragung des Patienten, Anmerkung) erfolgen, um alle früheren Erkrankungen, Beschwerden, aber auch die Lebensweise zu hinterfragen und besprechen. Viele Transgender von Mann zu Frau glauben, mit erhöhten Östrogendosen das Brustwachstum positiv beeinflussen zu können. Es kommt aber nur bei einem geringen Prozentsatz, etwa bei 12-15%, durch die Hormontherapie zu einem sichtbaren Brutwachstum. Zur Kontrolle und besseren Einstellung bevorzugen wir die natürlichen 17ß Östrogene, die der weibliche Körper auch selbst produziert.
Wann sollte aus Ihrer Sicht mit einer Hormontherapie begonnen werden, wenn sich ein transidenter Patient für eine Geschlechtsanpassung entscheidet?
Der Zeitraum, den die Kassen eingehalten wissen möchten, beträgt zwei Jahre. Zwischen der Erkenntnis, transident zu sein und ins andere Geschlecht umsteigen zu wollen, bis zu den geschlechtsanpassenden Operationen, sollten etwa zwei Jahre vergehen. Ein Jahr Vorbehandlung mit Hormonen ist durchaus üblich. Unmittelbar vor den geschlechtsanpassenden Operationen sollte man die Hormontherapie allerdings absetzen! Vier Wochen vorher als Minimum und frühestens zwei bis drei Wochen danach kann man wieder beginnen. Das ist für Betroffene eine harte, aber notwendige Zeit, da wie vor jeder Operation das Thromboserisiko steigt. Vor kleineren Eingriffen wie der Kehlkopfoperation ist das nicht nötig, aber bei den großen geschlechtsanpassenden Operationen, wo zum Beispiel eine Neovagina in Kombination mit einem Brustaufbau gemacht wird, unbedingt.
Was den Behandlungszeitraum und den Beginn der Behandlung angeht, ist jeder Mensch individuell zu betrachten. Ich persönlich bin kein Freund von allzu starren Reglementierungen. Wenn jemand regelmäßig zur Kontrolle kommt, alles vorbildlich mitmacht und gut mit Ärzten und Psychotherapeuten zusammenarbeitet, und aufgrund der Ergebnisse ein halbes Jahr früher zur Operation gehen möchte, werde ich mich dagegen nicht wehren. Ich sehe das ganz pragmatisch und vertrete die Ansicht, dass ein Arzt, der sich mit diesem Spezialgebiet schon sehr lange beschäftigt, das Recht haben sollte, auch die Zeitintervalle selbst zu variieren und an die Person, die er durch die intensive Behandlung kennt, anzupassen. Es gibt Menschen, die länger brauchen und von sich aus die Operationen nicht so schnell vornehmen lassen möchten und andere, die schneller sind. Ich muss den Mut haben, mich damit auseinander zu setzen, was oder wie lange der oder die Betroffene braucht. Ich glaube, die Individualisierung des Anpassens ist ganz wichtig. Es ist aber sicher nicht gut, das alles in einem halben Jahr auf privater Ebene durchzuziehen. Wir sind international vernetzt, haben Kontakt mit anderen Ländern und können Betroffene umfassend aufklären und begleiten.
Was sollten Menschen, die sich einer solchen Hormontherapie unterziehen, mit zunehmendem Alter beachten? Hätte ein Absetzen der Medikamente gravierende Folgen?
Primär ist es einmal so: Nach den geschlechtsanpassenden Operationen (Entfernung der Eierstöcke, Entfernung der Hoden) ändert sich die Hormontherapie etwas im Vergleich zu jener, die vorher gemacht wurde. Man benötigt normalerweise weniger und zielgerichtet nur Hormone des nun neuen Geschlechts. Es ist vollkommen richtig, wenn wir beispielsweise Mann zu Frau betrachten: Die Frau kommt mit Anfang 50 in den Wechsel, das heißt, die Produktion der Sexualhormone lässt naturgemäß mit zunehmendem Alter nach. Das ist vergleichbar mit Transidenten, wo die Anpassung von Mann zu Frau stattgefunden hat. Die Dosis wird reduziert und die Person hört unter Umständen mit der Therapie auf. Meistens passiert nach dem Absetzen der Hormone nichts, das heißt es treten keine Art Wechselbeschwerden auf. Es ist individuell verschieden, aber die Betroffenen fühlen sich häufig nicht schlechter. Einige meiner Patienten haben von sich aus aufgehört und ohne Hormone genauso gut weitergelebt wie vorher mit diesen. Es ist richtig, man sollte so, wie von der Natur vorgegeben, mit zunehmendem Alter die Hormondosis reduzieren. Wenn eine Frau im Alter von 55-65 mit der Einnahme aufhören möchte, ist dagegen aus ärztlicher Sicht nichts einzuwenden. Sie kann ja, wenn sie sich nicht wohl fühlt, wieder damit beginnen. Die meisten glauben immer, man darf nicht mehr damit anfangen, wenn man aufhört. Man kann ausschleichen, aufhören, schauen, wie es einem geht, wenn es einem schlechter geht, fängt man mit einer niedrigeren Dosis wieder an.
Bei Frau zu Mann verhält es sich so: Ein Mann produziert lebenslänglich Sexualhormone, die aber auch immer weniger werden. Da würde ich persönlich mit Mitte, Ende 50 mit der Dosis heruntergehen. Beim Mann ist die Auswahl und Verabreichungsform von Testosteronpräparaten, die man verabreichen kann und soll, wesentlich geringer. Für Frauen ist die Auswahl von Östrogenpräparaten, deren Verabreichungsformen und Dosierungsmöglichkeiten wesentlich vielfältiger.
Das heißt, diese Präparate müssen nicht zwingend ein ganzes Leben lang eingenommen werden?
Nein.
Und es hat auch keine gravierenden Folgen, wenn die Patienten sie absetzen?
Nein, es ist bis jetzt nichts bekannt. Man muss natürlich auf Erkrankungen, wie z.B. Osteoporose, achten, die aufgrund von Hormonmangel entstehen können. Wir machen zu Beginn sämtliche Untersuchungen wie Fettverteilungsmessungen, Knochendichtemessung etc. und bitten unsere Betroffene darum, einmal pro Jahr zu Kontrolle zu kommen, um eventuelle Veränderungen zu erkennen. Die Holländer zum Beispiel haben durch eine sehr gute Datensammlung über Jahre in ihren Langzeitbeobachtungen keine gravierenden Folgen nachweisen können.
Die Personen, die wirklich zufrieden sind und bei denen alles perfekt funktioniert hat, treten aus dem Ganzen ja heraus und leben vollkommen glücklich in ihrem neuen Geschlecht. Sie möchten naturgemäß nicht ständig daran erinnert werden, dass sie eine transidente Person waren. Das muss man auch verstehen. In Selbsthilfegruppen gibt es manchmal auch wieder unzufriedene Teilnehmer, bei denen irgendetwas nicht geklappt hat, die mit den Ergebnissen nicht zufrieden und in ihrem Leben nicht ganz zufrieden sind. Diese üben dann manchmal etwas Druck auf neue transidente Personen aus, die sich dort hinwenden. Gesamtgesehen sind die Selbsthilfegruppen aber eine gute Einrichtung, die neuen transidenten Personen als gute Anlaufstellen dienen können. Größtenteils arbeiten sie auch mit den diversen Spezialisten sehr gut zusammen und helfen, mögliche Hürden im Alltag leichter zu bewältigen.